Was ist aus dem Kind geworden?

Was ist aus dem Kind geworden, dessen Geburt wir an Weihnachten gefeiert haben, wenn wir es in diesem Jahr auch anders als sonst gefeiert haben? Wie hat sich das Kind entwickelt? Im Bibeltext für den 3. Januar wir davon erzählt. Das kleine, in Windeln gewickelte und in einer Krippe gelegene Kind hat sich entwickelt und ist groß geworden.

Als Jesus 12 Jahre alt war, nahmen ihn seine Eltern zum ersten Mal mit zum Passafest nach Jerusalem. Nach den Festtagen dort machten sie sich wieder auf den Heimweg. Doch der junge Jesus blieb in Jerusalem, ohne dass seine Eltern davon wussten. Sie dachten, er sei irgendwo unter den Pilgern. Sie wanderten den ganzen Tag und suchten ihn dann abends unter ihren Verwandten und Bekannten. Als sie ihn nicht fanden, kehrten sie am nächsten Tag nach Jerusalem zurück und suchten ihn dort. Endlich am dritten Tag entdeckten sie ihn im Tempel. Er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und diskutierte mit ihnen. Alle, die dabei waren, staunten über sein Verständnis und seine Antworten. Seine Eltern aber waren ganz außer sich, als sie ihn hier fanden ...

Die Mutter sagte zu ihm: „Kind, warum hast du uns das angetan? Dein Vater und ich haben dich überall gesucht und große Angst um dich ausgestanden.“ Jesus antwortete: „Warum habt ihr mich denn gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Sie verstanden nicht, was er damit meinte. Jesus kehrte mit seinen Eltern nach Nazareth zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter aber bewahrte das alles in ihrem Herzen. (nach Lukas 2,41-51)

In dieser Geschichte geht es zum einen sehr menschlich zu. Alle Eltern und alle Kinder am Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein können sich vermutlich in dieser Geschichte wiederfinden. Eltern kennen es, dass sie sich Sorgen um ihre Kinder machen. Dies ist in einer solchen Situation wie hier bei Maria und Josef mehr als verständlich. Eltern haben das Recht, sich Sorgen zu machen. Und alle Jugendlichen werden sich darin wiederfinden, dass sie manches anders sehen als ihre Eltern. Auch das hat sein Recht. Kinder haben das Recht, Dinge anders zu sehen. Hier geht es sehr menschlich zu.

Aber es geht hier zugleich auch sehr göttlich zu. Jesus wird hier nicht nur als gewöhnlicher Junge in heranwachsendem Alter vorgestellt, sondern in seiner besonderen Verbundenheit mit Gott. Sein Verständnis und seine Worte geben einen Hinweis darauf, dass er zugleich Gottes Sohn ist. „Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“, sagt er seinen Eltern. Dieses Kind ist also nicht nur Menschenkind. Jesus geht den Weg Gottes, und zwar konsequent, so konsequent und eindeutig, dass später Menschen durch ihn Gott erfahren. Jesus lässt die Menschen den „himmlischen Vater“ spürbar werden, und zwar in dem, wie er ihnen begegnet, wie er sie annimmt, wie er ihnen vergibt und auch darin, auf welchen Weg er sie weist, auf den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens. Für Jesus liegt auf seinem „göttlichen“ Weg auch das Kreuz. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände“, mit diesen Worten am Kreuz bleibt er Gott zugewandt und kehrt zu ihm zurück. Seine Auferstehung besiegelt dies.

Allzu Menschliches, ganz und gar Göttliches – in der Geschichte vom 12-jährigen Jesus im Tempel kommt dies zusammen. In Jesus kommen Mensch und Gott zusammen. Maria ahnt, dass sie dies von ihrem Sohn einmal trennen wird. In der Legende, die Selma Lagerlöf zu dieser Geschichte geschrieben hat, heißt es am Schluss: »„Mein Sohn“, antwortete die Mutter, „ich weine, weil du gleichwohl für mich verloren bist. Du wirst mir nie mehr angehören. Von Stund an wird deines Daseins Streben Gerechtigkeit sein, und deine Sehnsucht das Paradies, und deine Liebe wird alle die armen Menschen umfassen, die die Erde erfüllen.“« (Selma Lagerlöf, Christuslegenden, München 1948, S. 98)

Ihr Sohn geht ihr verloren. Doch die ganze Welt gewinnt ihn. Für die Welt ist er da, für sie vollbringt er sein Werk – und damit auch für Maria und Josef. Maria verliert ihren Sohn, meint sie. Dich viel eher geht für sie die Vorstellung verloren, die sie von einem Sohn hatte.

 Pfarrer Michael Keller 

Wochenlied 'Weil Gott in tiefster Nacht erschienen' (EG 56)

Refrain: Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein! 

1. Der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar. Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!

2. Bist du der eignen Rätsel müd? Es kommt, der alles kennt und sieht! Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!

3. Er sieht dein Leben unverhüllt, zeigt dir zugleich dein neues Bild. Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!

4. Nimm an des Christus Freundlichkeit, trag seinen Frieden in die Zeit! Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein!

5. Schreckt dich der Menschen Widerstand, bleib ihnen dennoch zugewandt! Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht endlos sein!

Tagesgebet

Beten wir in der Stille zu Gott, der durch Christus unser aller Vater ist:

- Stille - 

Du hast Wohnung unter uns genommen, Gott,
in deinem Sohn und überall, wo Menschen leben,
willst du mit deiner Gnade gegenwärtig sein.
Darauf vertrauen wir.
So wecke in uns Weisheit und Kraft,
dass wir einander helfen
und daran bauen können, dass deine Stadt auf Erden wächst,
das begonnene Reich deines Sohnes Jesu Christi,
der mit dir in der Einheit des Heiligen Geistes lebt und wirkt,
jetzt und in Ewigkeit.
Amen.

(aus: www.evangelische-liturgie.de zum 03.01.2021)