Gottesdienst nicht nur sonntags ...

... sondern auch im Alltag "feiern"

In diesen Wochen können wir uns nicht zur Feier der Gottesdienste treffen. Wir müssen vorlieb nehmen mit Gottesdiensten im Internet oder mit geschriebenen Andachten wie dieser.

Da frage ich mich: Was macht einen Gottesdienst aus? Ist diese Andacht hier auf unserer Homepage auch ein Gottesdienst? Ist ein Gottesdienst, der allein am Bildschirm angeschaut wird, ein „wahrer“ Gottesdienst?

 

Mir hilft bei diesen Überlegungen der Bibeltext, über den am 10. Januar gepredigt wird, sei’s in den Kirchen oder wie auch immer. Er beginnt mit folgenden Worten:

„Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. ...

Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ (Römer 12,1-2)

„Das sei euer vernünftiger Gottesdienst“, schreibt Paulus. Der „wahre“ Gottesdienst findet nach diesen Worten im täglichen Leben statt, also im Verhalten zu Kindern oder Eltern oder Nachbarn, zur Kollegin oder zum Verkäufer. Er geschieht in der Hingabe. „… dass ihr euren Leib hingebt.“ Der wahre Gottesdienst geschieht in der Hingabe der eigenen Person, mit den Händen, was unsere Hände tun, mit den Füßen, wohin und zu welchen Menschen sie gehen, mit unserem Kopf, was er denkt, abwägt und prüft.

„Und stellt euch nicht der Welt gleich“, schreibt Paulus. Wir sollen uns nicht gleichschalten lassen, nicht einfach das tun, was alle tun, sondern „prüfen, was Gottes Wille ist“.

Wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, und sei dies auch über das Internet, dann richten wir uns auf Gott und seinen Willen aus. Wir vergewissern uns dessen, dass er uns gegenüber barmherzig und treu ist, dass er uns liebt. Das hat Auswirkungen auf den Alltag, auf unser Leben in den Tagen der Woche. Drei Elemente eines Gottesdienstes möchte ich erwähnen, wo dies deutlich wird, und dies mit Texten aus Weihnachtsliedern verbinden.

1. Im Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ heißt es: 

 

9. Ach Herr, du Schöpfer aller Ding,

wie bist du worden so gering,

dass du da liegst auf dürrem Gras,

davon ein Rind und Esel aß!

 

12. Das hat also gefallen dir,

die Wahrheit anzuzeigen mir,

wie aller Welt Macht, Ehr und Gut

vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 24)

 

Vor Gott zählt nicht „Macht, Ehr und Gut“, nicht Einfluss, Geld und Titel, nicht gutes Aussehen und nicht Redegewandtheit. Paulus sagt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich!“

Wenn wir Gottesdienst feiern, dann wird außer Kraft gesetzt, was in der Welt zählt, was vor Gott „nichts gilt, nichts hilft“, wie es in dem Lied heißt.

Deshalb werden zum Beispiel im Gottesdienst nicht wie bei offiziellen Festakten alle aufgezählt, die Rang und Namen haben, und nicht die Ranghöchsten und Einflussreichsten besonders begrüßt. „Liebe Gemeinde“ als Anrede genügt. Alle haben den gleichen Rang, beispielsweise ein schwach begabter Schüler, der beim Psalmlesen herumstottert, wie eine Verwaltungschefin, die Ansehen genießt. Der Gottesdienst ist damit eigentlich ein Fremdkörper zur Welt, weil in ihm nicht üblich ist, was in der Welt gilt. Was im Gottesdienst gilt, das gilt es nun auch im Alltag zu leben. Werden wir auch da zu allen in gleicher Weise freundlich sein?

2. Im Weihnachtslied „Nun singet und seid froh“ heißt es in der dritten Strophe:

 

3. Groß ist des Vaters Huld,

der Sohn tilgt unsre Schuld.

Wir warn all verdorben

durch Sünd und Eitelkeit,

so hat er uns erworben

die ewig Himmelsfreud.

O welch große Gnad,

o welch große Gnad!

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 35)

„Der Sohn tilgt unsere Schuld“, das hören wir im Gottesdienst. „Vergib uns unsere Schuld“, so beten wir in jedem Gottesdienst mit dem Gebet Jesu. Mit meiner Schuld tilgt der Sohn auch die Schuld der anderen. Was mir gilt, gilt auch anderen.

Paulus schreibt: „Stellt euch nicht der Welt gleich!“ Wir stellen uns oft der Welt gleich und registrieren sorgsam, was der andere falsch gemacht hat. Wenn dies nicht getilgt wird, kann ich es wieder vorholen und es dem anderen zu gegebener Zeit vorwerfen.

Wer im Gottesdienst ist, auch in einem Gottesdienst vor dem Bildschirm, hört von der Vergebung und bittet im Vaterunser, dem Gebet Jesu, um Vergebung. Das wirkt sich im Alltag aus, in unserem Umgang mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Vielleicht lässt uns dies auch eine andere Sicht auf die Menschen werfen, die wir nicht persönlich kennen und die jetzt angesichts der Corona-Krise vieles regeln und organisieren müssen. Schnell sind wir dabei, es besser zu wissen, aber ob wir es schaffen würden, es besser zu machen?

3. In einem eher unbekannteren Weihnachtslied heißt es in der ersten Strophe:

 

1. Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören,

singet dem Herren, dem Heiland der Menschen, zu Ehren!

Sehet doch da:

Gott will so freundlich und nah

zu den Verlornen sich kehren.

(Evangelisches Gesangbuch Nr. 41)

Dass sich Gott zu den Verlorenen hinkehrt, zeigt sich im Gottesdienst vor allem im Fürbittengebet, in dem Gebet, in dem an andere Menschen und an deren Not gedacht wird. In diesem Gebet bitten wir Gott, das er sich diesen Menschen freundlich zuwende, gerade den Menschen, die in unserer Welt oft links liegen gelassen werden. Wir bitten für Kranke und Verzweifelte, für Pflegebedürftige und Pflegende, für Menschen ohne Wohnsitz und für Menschen auf der Flucht, für Gefangene und Hungernde und viele andere. Wenn wir diese in unser Gebet aufnehmen, zeigen wir damit auch an, dass Gott niemanden aufgibt und verloren gehen lässt.

In unserer Welt zählt oft, wer optimistisch ist, wer sein Leben allein meistern kann und niemandem zur Last fällt. Gott aber erweist allen seine Barmherzigkeit. Und ich darf gewiss sein, dass Gott auch mir Barmherzigkeit erweist, auch wenn ich am Ende bin. Und ich darf gewiss sein, dass ich auch anderen gegenüber das sein kann, was Gott ihnen ist, nämlich barmherzig.

Der Gottesdienst am Sonntag, sei dies in der Kirche oder vor den Bildschirmen, und das Leben im Alltag hängen eng zusammen. Insofern erwächst aus dem Gottesdienst am Sonntag der „Gottesdienst im Alltag“. So erwächst aus dem Dienst, den Gott an uns tut, unser Dienst an Gott und den Menschen. Vielleicht kann so der schwierige Satz des Paulus verstanden werden: „Ich ermahne euch nun durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“

Michael Keller

 

Gebet:

Gott, Ursprung aller Güte,

du schenkst die Freiheit, dir alles zu sagen.

Du schenkst die Zuversicht, dass du uns hörst und uns hilfst.

Wir bitten dich heute für die Menschen

in Krankenhäusern, Heimen oder zuhause,

die körperliche oder seelische Not leiden;

für alle, die in Einsamkeit allein gelassen sind,

für alle, die den Tod vor Augen haben.

 

Wir bitten dich für die Menschen,

die ohne Arbeit und ohne Wohnung sind,

für die Flüchtlinge auf den Straßen dieser Welt,

für alle, die Unrecht und Gewalt leiden.

Sei du ihnen nahe, schenke ihnen Zuversicht und Hoffnung,

sende Menschen zu ihnen, die ihnen deine Liebe bringen

und ihnen zum Leben helfen.

 

Wir bitten dich heute auch für alle Menschen,

die in pflegenden und betreuenden Diensten tätig sind;

für alle im Rettungsdienst,

für die Männer und Frauen,

die für die medizinische Versorgung verantwortlich sind.

 

Wir bitten dich für die Menschen auf den Sozialämtern,

für die Fachkräfte in den Betreuungsstellen,

für alle, die in Kirche, Staat und Gesellschaft

besondere Verantwortung tragen

für soziale Hilfe und Gerechtigkeit.

Wir bitten dich für alle, die in der Stille wichtige Dienste tun,

bei der Nachbarschaftshilfe oder als Freundschaftsdienst.

 

Segne du, Gott, allen guten Willen;

schenke das nötige Feingefühl,

wenn wir miteinander umgehen.

Lass unser Tun in der Liebe und Freiheit geschehen,

die du uns schenkst.

Amen

(aus: Reformierte Liturgie, hg. von Peter Bukowski. Wuppertal 1999, S. 261f.; https://www.gottesdienst-ref.ch/customer/files/Diakonie%20allgemein_red.pdf)